„Traut Euch, mich zu fragen.“

14.06.2021
Lesedauer: 4 Min.

Werden Menschen mit Neurodermitis anders angeguckt und anders behandelt? Was macht das mit einem? Tina hat ihre persönlichen Erfahrungen mit uns geteilt. Seit ihrer Kindheit hat sie Neurodermitis am gesamten Körper, heute ist sie 27 Jahre alt und appelliert ans einfach Hinnehmen oder offen Ansprechen.

Neurodermitis Patientin im Interview lächelt

Wie reagieren andere, wenn sie dich zum ersten Mal sehen? 

Das ist unterschiedlich, aber man erntet definitiv merkwürdige Blicke. Ich werde einfach anders und zum Teil angewidert angeguckt. Als ich ein Kind war, war das noch schlimmer, da war es auch durchaus so, das andere Kinder nichts mit mir zu tun haben wollten. 

„Als Kind habe ich von Eltern meiner Freunde mal den Tipp bekommen: „Mach‘ doch einfach Spucke drauf.“

Du wurdest also aktiv ausgeschlossen als Kind?

Ja, auf jeden Fall, ja. Also Sätze wie „Komm, wir gehen“ und gerade in Sportumkleide-Situationen sowas wie „Ihhh, was hast du da?“ und dann auf Abstand gehen, kenn ich noch ganz genau. In der Jugend wird das Ansprechen dann weniger, aber das Meiden bleibt. Und als Kind hab‘ ich von Eltern meiner Freunde mal den Tipp bekommen, „Mach‘ doch einfach Spucke drauf.“ Das bringt gegen Juckreiz aber leider gar nichts – das macht es eher schlimmer, weil es die Haut austrocknet.

Sprechen dich andere auf deine Haut an? 
 
Also aktiv drauf ansprechen tun meistens immer noch nur Kinder, sie fragen halt ganz einfach, was ich da hab‘. Bei Erwachsenen sehe ich ihnen dann eher an, dass sie überlegen, was es sein könnte.

Neurodermitis Patientin im Interview

Sprichst du es dann an?

Wenn ich merke, jemand fühlt sich unwohl, ergreife ich meist selbst die Initiative. Um die angespannte Stimmung zu lösen.

Kostet es dich Überwindung?

(Lacht) Mittlerweile nicht mehr, manchmal nervt es mich, manchmal nicht, für mich ist es normal geworden, es anzusprechen. 

„Es kommt häufig vor, dass Leute noch nie von Neurodermitis gehört haben.“ 

Kennen Leute eigentlich Neurodermitis, wenn du es dann erklärst?

Es kommt häufig vor, dass Leute noch nie von Neurodermitis gehört haben. Und wenn doch, dann ist die meiste Reaktion: „Ja, ich hab‘ auch Allergien oder Heuschnupfen.“ Ich lächel‘ das dann weg, denn wenn ich anfange zu erklären, dass ich außerdem Allergien und Heuschnupfen habe und das nicht zu vergleichen ist, hören die meisten schon nicht mehr zu. Was auch oft eine der ersten Fragen ist: „Woher kommt das?“ Oder „ist das ansteckend?“ 

Was machen diese Reaktionen mit dir?

Man gewöhnt sich dran, dass man anders wahrgenommen wird, aber … Ich bin zum Beispiel auch im Hochsommer mit langer Hose, langem Shirt rumgelaufen – obwohl es den Juckreiz steigert. Durch Stress im letzten Sommer hatte ich’s auch stark im Gesicht, unter den Augen und überschminken geht zwar, aber das macht es auch nur schlimmer und ist eigentlich auch kein Umgang, den ich anstrebe. 

Was trifft dich, in Bezug auf andere, am meisten?

Das Schlimmste ist, mich angewidert anschauen und mich meiden oder auf mich herabschauen.  

Neurodermitis Patientin im Interview

Gibt es auch Situationen, die du bewusst absagst oder absagen musst?

Ja – in der Schule kam das öfter vor oder Treffen mit Freunden. Bei der Familie eher weniger. 

Warum?

In meiner Familie kann ich mich zeigen, wie ich bin. Meine Cousine hat auch Neurodermitis, das Thema ist bekannt und wird verstanden. 

Also, wenn du etwas absagst, dann wegen eventueller Blicke und gar nicht wegen der Symptome an sich?

Ja, wenn dann ist es mein Aussehen und weil ich mich in der Öffentlichkeit nicht kratzen möchte, dann werde ich hibbelig und das sind Reaktionen, die nach außen hin komisch rüberkommen. Einen Klassiker, den ich oft vermeide: schwimmen gehen, obwohl, jetzt mal abgesehen vom Chlor, mir Wasser und Sonnenlicht guttun. Da hab‘ ich im Sommer dann oft erstmal zugesagt und dann wieder abgesagt – mit einer anderen Begründung.  

„Traut Euch, mich zu fragen. Wenn man sich selbst unwohl fühlt oder irritiert ist, ist die beste Variante: ansprechen.“

Weil wir alle noch viel lernen können, was wäre eine gute Reaktion oder der beste Umgang?

Einfach ganz normal mit mir umgehen, und mich einfach als Mensch sehen. Ich finde es gut, wenn es nicht direkt Thema ist – es hingenommen wird. Oder: Traut Euch, mich zu fragen. Wenn man sich selbst unwohl fühlt oder irritiert ist, ist die beste Variante: ansprechen.

Und was wäre für dich eine angenehme Art, dich drauf anzusprechen?

„Mir fällt es gerade auf …“ oder „Geht’s dir gut?“ – ganz normal fragen.

Zum Schluss: Was würdest du anderen in deiner Situation raten – wie geht man am besten mit den Reaktionen von außen um?

Letztlich muss jeder seinen persönlichen Weg finden, der für einen gut funktioniert. Aber ich habe die besten Erfahrungen damit gemacht, Personen offen anzusprechen. Denn auch wenn es leichter wäre, die andere Person würde einfach mal fragen, ist es einfach so, dass sich die meisten nicht trauen. Und dann sollte man sich selbst trauen, auch wenn es Überwindung kostet: So durchbricht man diese unangenehme Situation und macht die Person ganz nebenbei auch darauf aufmerksam, dass hinter der Krankheit auch noch ein Mensch steckt.

Tina, wir danken dir für deine Offenheit und das Gespräch.

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